Freitag, 10. September 2010

4. Das Gesetz 10.303/01 bzw. das “neue Aktiengesetz”, der “Neue Markt” und die Stufen 1 und 2 der differenzierten Verfahren von Corporate Governance.

Die durch die zunehmende Öffnung des brasilianischen Wirtschaftsmarktes höhere Anzahl

der Investitionen und die stärkere Beteiligung der brasilianischen Investoren an ausländischen Märkten haben eine Anpassung der Regeln und Gewohnheiten des nationalen Marktes nötig gemacht. Beispielgebend waren die Regeln der US SEC (Securities and Exchange Commission), die auf Informationen und mehr Transparenz in den Prinzipen der Corporate Governance Wert legen. Damit wurde den brasilianischen Unternehmen praktisch eine „Evolution“ aufgedrängt. Die Aktionäre sind anspruchsvoller, ihnen sind eine Stabilisierung des Marktes und rechtliche Garantien wichtig, die die Investitionen schützen und gleichzeitig die Mobilität des Handels und des Gewinns vereinfachen.

Das neue AktG 10303/01, die Gründung des Neuen Markts (Novo Mercado) und die Stufen 1 und 2 der Corporate Governance durch die Börse von São Paulo (BOVESPA) [1] wurden nach einer langen Zeit der Verhandlungen zwischen der brasilianischen Regierung und den nationalen Unternehmen durchgesetzt. Beide hatten den Wunsch (mit unterschiedlichen Interessen, aber mit dem gleichen Ziel) den brasilianischen Markt wieder an die großen ausländischen Kapitalbewegungen anzuschließen.

Diese Veränderungen haben die "Kultur" des Umgangs der Brasilianer mit dem brasilianischen Wertpapiermarkt und ihre Beteiligung an AGs drastisch verändert.

Das Risiko eines Chaos war sehr hoch, jedoch haben die positiven Auswirkungen dieser Änderungen Brasilien auf ein “sicheres Niveau” für Investitionen gehoben und garantieren eine bessere Stabilität bei evtl. Wirtschaftskrisen.

Die größten Veränderungen lagen in einem besseren Schutz der Minderheitsaktionäre. Oder, wie zu der Zeit von den nationalen Medien berichtet wurde, war das neue Gesetz „ein Meilenstein in der Erweiterung der Garantien für Minderheitsaktionäre in den Aktiengesellschaften."[2]

Das neue AktG regelt eine Vielzahl an Rechten, die die Mindestquotenaktionäre betrifft und ihre Positionierung gegenüber den Kontrolleuren des Unternehmens regelt. In der Erwartung, dass das neue AktG das Interesse an Aktien erhöhen würde, wurde den Minderheitsaktionären ein besserer Schutz gegeben, auch um eine stärkere Integration der brasilianischen Mittelschicht und anderer Investoren in das brasilianische Wertpapiergeschäft möglich zu machen.

Eine dieser Änderungen ist in Art. 15, Absatz 2 festgehalten.[3] Hier wird der Anteil der Vorzugsaktien ohne Stimmrecht auf einen Höchstsatz von 50% der insgesamt ausgegebenen Aktien beschränkt.

In Art. 17[4] fand eine Neuformulierung der Präferenzen bzw. der Vorteile der Vorzugsaktien statt, die zur Stärkung der Aktionärsverträge[5] beigetragen hat. Beispiele dafür sind die Bildung von Versammlungen und das Recht auf die Wahl eines Vertreters für den Verwaltungsrat eines Unternehmens, durch getrennte Abstimmungen der Minderheitsaktionäre, denen ein Teil der Aktien gehört.[6]

Positiv kann auch die Rückkehr der Tag-along-Rights [7] durch den Art. 254-A[8] eingeschätzt werden. Er erlaubt den Aktionären, die Stammaktien haben und nicht mehr an der AG teilnehmen wollen, den Verkauf ihrer Aktien zu einem Wert von 80% des Handelswertes der Vorzugsaktien.

Mit den neuen Maßnahmen ging eine Erhöhung der Transparenz des Handels auf den Finanzmärkten einher. Ein direkter informativer Kanal wurde von der CVM für die Anleger eingerichtet, um über die möglichen finanziellen Risiken und die direkt den Finanzmarkt beeinflussenden Entscheidungen der Regierung zu informieren. Die CVM ist stärker und autonomer geworden, jedoch bleibt sie weiterhin dem Finanzministerium unterstellt.

Es gab weiterhin Veränderungen, die klarere Regeln für die Definition von Preisen im Falle eines Angebots des Rückkaufs von Aktien des Hauptunternehmens festlegten und ein öffentliches Angebot vor der Schließung des Kapitals als obligatorisch durchsetzten.[9] Nach Art. 264[10] wurden neue Regeln für die Übernahme von Gesellschaften geschaffen. Die Bewertung des Vermögens der Controller- und der kontrollierten Unternehmen müssen nach den gleichen Kriterien und durch ein spezialisiertes Unternehmen erfolgen.

Die Änderungen des Gesetzes sind effizient gewesen, da die BOVESPA schon davor neue Regeln für die Auflistung der Unternehmen determiniert hatte. Diese Auflistung klassifiziert die Gesellschaften nach ihren Arten der Unternehmensführung. Dadurch erfolgte die Aufnahme in den nationalen Markt der Corporate Governance. Sie wurde bezeichnet als

“das System, das den Gesellschafter-Eigentümern die strategische Verwaltung der Gesellschaft und die wirksame Kontrolle der Geschäftsführung zusichert. Die Verbindung zwischen dem Eigentum und dem Management geschieht durch den Verwaltungsrat, die unabhängige Buchprüfung und den Aufsichtsrat. Sie sind fundamentale Instrumente für die Ausübung der Kontrolle. Eine gute Corporate Governance gewährleistet die Gleichheit der Aktionäre, Transparenz und die Verantwortungt für die Ergebnisse (accountability)."[11]

Diese Änderungen wurden bekannt als der Neue Markt und die Stufen 1 und 2 der differenzierten Verfahren von Corporate Governance.

4.1 Der Neue Markt

Die Geschichte der brasilianischen Corporate Governance war nicht so günstig für derart tief greifende Veränderungen, insbesondere nicht auf freiwilliger Basis, da ein großer Teil der brasilianischen Unternehmen Familienunternehmen sind.

Sie behalten einen großen Teil der Aktien in eigener Hand und vermeiden ihren Handel auf dem öffentlichen Markt, um den Eintritt neuer Aktionären oder den Kauf neuer Aktien von Gruppen oder einzelnen Aktionären (insbesondere solcher mit Stimmrecht) zu vermeiden. Damit möchten sie Macht- und Einflussverlust oder gar den vollständigen Verlust der Kontrolle über das Unternehmen verhindern.

Diese Mentalität ging gegen die Ideale der BOVESPA, da die protektionistische Haltung gegenüber den Minderheitsaktionären offensichtlich war. Es gab große Widerstände gegen jegliche Maßnahmen, die gegen die Tradition der Kontrolle initiiert wurden. Dies hatte die BOVESPA vorhergesehen. Daher war die Annahme einer Corporate Governance nicht verpflichtend, sondern bestand auf freiwilliger Basis.

Im Jahr 2000, kurz bevor die Gesetzesvorlage des neuen AktG verabschiedet wurde, hat die BOVESPA drei Arten von Auflistungen für die Gründung eines neuen parallelen Marktes für brasilianische AGs, die die Corporate Governance praktizieren wollten, entwickelt.

Wie bereits gesagt, gab es (und gibt es noch immer) keine Verpflichtung zur Teilnahme an dieser neuen Auflistung der BOVESPA. Die AG übernimmt die Verantwortung zur Verbesserung ihrer betriebswirtschaftlichen Praxis freiwillig. Weiterhin verpflichtet sie sich dann, mehr und präzisere Informationen als gesetzlich vorgeschrieben über den Zahlungsverkehr bekannt zu geben.

Das Unternehmen muss bestimmten Bestimmungen der BOVESPA folgen, um einen festen Platz auf dem Neuen Markt zu bekommen. Die Registrierung bei der CVM ist obligatorisch, und die Registrierung wiederum nötig um auf dem Wertpapiermarkt der BOVESPA handeln zu können. Ein weiteres Merkmal ist die Verpflichtung einer AG, einen Beteiligungsvertrag zu unterzeichnen, wenn sie sich für den Neuen Markt entschieden hat. Damit verpflichtet sie sich die vertraglichen Mindestanforderungen zu erfüllen, die so genannten "Corporate-Governance-Grundsätze"[12] und stimmt zu, ihre Satzung den Regeln der Schiedsklausel anzupassen.

Der Begriff der Schiedsklausel wird von der BOVESPA definiert als

die Klausel, die die Unternehmen, die Aktionäre, Direktoren, Mitglieder des Aufsichtsrats und der BOVESPA verpflichtet, jeden Streit oder Kontroverse zwischen ihnen durch Schiedsverfahren zu lösen. Diese können entstehen aus oder im Zusammenhang mit der Rechtsfindung, der Gültigkeit, der Wirkung, der Auslegung, der Zuwiderhandlung und der Auswirkungen des AktG; dem Statut der Gesellschaft; den Regeln der CMN; der Zentralbank von Brasilien; dem CVM; sowie mit anderen Normen für die allgemeine Funktionstüchtigkeit des Kapitalmarktes; den Normen des Auflistungsreglements; dem Schiedsreglement und dem Beteiligungsvertrag an dem Neuen Markt. [13]

Neue Bestimmungen verlangen, dass an einer Beteiligung am Neuen Markt interessierte Unternehmen einen Mindestprozentsatz der Aktien im Umlauf haben müssen.[14] Weiterhin darf die AG ihr Kapital nur als Stammaktien verteilen (bis auf einige Ausnahmen) [15], es darf keinen begünstigten Part geben und die AG muss sich an die Normen und Verordnungen der BOVESPA halten.

Es gibt Verbesserungen hinsichtlich der Informationen für die Öffentlichkeit[16], da spezifischere Regelungen geschaffen wurden, die verlangen, dass die Daten der Gewinn-und-Verlust-Rechnungen besser detailliert werden müssen, insbesondere in Bezug auf den Kassenfluss. Die Veröffentlichung dieser Angaben wird nach den internationalen Standards IFRS oder US-GAAP[17] gemacht.

Das Unternehmen ist zu einer Vorlage eines jährlichen Kalenders mit allen Veranstaltungen (Treffen, Kongressen, Seminaren, Schulungen, Trainings, die Vorstellung von Ergebnissen, usw.) verpflichtet. Weiterhin müssen Protokolle der Vereinbarungen zwischen den Aktionären und des Wertes der Handelstätigkeiten der Kontrolleure offen gelegt werden.

So sind Unternehmen an strengere und spezifischere Regeln gebunden, bekommen jedoch als Gegenleistung die Vorteile der Teilnahme an einer "elitären" Gruppe der BOVESPA, die mehr Glaubwürdigkeit auf dem Markt hat und von den Investoren als eine sichere und ernste Anlage gesehen wird. Somit steigern sie ihre Aktienwerte und die Liquidität der Aktien.

Für die Minderheitsgesellschafter erhöhen diese Regeln ihre Entscheidungsbefugnisse, da sie folgendes verlangen: dass die AG mindestens ein Mal pro Jahr eine öffentliche Sitzung für die Investoren und Analytiker machen muss; die Geschäftspraktiken von Tag-along-Rights; die Durchführung von öffentlichen Verkaufsangeboten aller ausstehenden Aktien im Falle der Schließung des Kapitals oder der Löschung der Handelsregistrierung auf dem Neuen Markt; die Schaffung eines Verwaltungsrates, der mindestens 20% der Mitglieder in Form von unabhängigen Ratsmitgliedern hat und, am wichtigsten, der Beitritt zu dem Schiedsgericht des Marktes, das im Falle von Gesellschafterkonflikten das verantwortliche Organ für die Beilegung von Streitigkeiten ist.

4.2 Die Stufen der Praxis der Corporate Governance

Die BOVESPA hat auch die Corporate-Governance-Grundsätze geschaffen. Diese sind auf zwei Ebenen definiert, die Stufe 1 und 2. Sie unterscheiden sich voreinander nach dem Grad der erwünschten Verpflichtung des Unternehmens bei seinem Vertragsbeitritt.

Die Corporate Governance Grundsätze stellen ein Ensemble von Regeln dar, die die gesellschaftliche und administrative Führung und das Kontrollsystem eines Unternehmens regulieren. Sie sind ähnlich denen des Neuen Markts aber sie unterscheiden sich voneinander, da der Neue Markt hauptsächlich für die AGs, die noch nicht an dem Wertpapiermarkt teilnahmen, geschaffen wurde und die Corporate Governance bereits bestehende Unternehmen, die schon am Wertpapiermarkt teilnehmen, erreichen sollte.

Für die AGs, die sich für die Stufe 1 entscheiden, sind eine Erhöhung und Verbesserung der Informationsbereitstellung für die Öffentlichkeit, eine Erhöhung ihres Aktienumlaufs auf dem Markt und eine Zunahme der Werbung für einen höheren Zugang neuer Aktionäre Pflicht.

Auf Stufe 2 gibt es, zusätzlich zu den Verpflichtungen der Stufe 1, die Verpflichtung wirksame Maßnahmen für eine höhere Gleichheit zwischen den Aktionären und der Ausweitung der Rechte der Minderheitsaktionäre anzunehmen und die Verpflichtung zur Annahme der Grundsätze der Corporate Governance.

4.3 Konkrete Ergebnisse

Nach Angaben des IBGC (Brasilianisches Institut der Corporate Governance)[18] war im Jahr 2006 zum ersten Mal die Mehrheit der gehandelten Aktien von aufgelisteten Unternehmen (entweder des Mercado Novo oder der Stufen 1 oder 2 der Corporate Governance). In Zahlen bedeutete dies, dass 53% des gesamten Geschäftsumsatzes und 55% des Handels per Kassa von diesen teilnehmenden Unternehmen getätigt wurde.

Einige Indexe, neben der IBOVESPA[19], wurden zur Messung der Fortschritte dieser Unternehmen geschaffen, auch als eine Form der Motivierung anderer Unternehmen, sich diesen Konzepten anzuschließen. Solche Indexe sind z.B. der IGC (Index der Corporate Governance Aktien), der die Leistungsfähigkeit der AGs mit differenziertem Management misst. Seit seiner Gründung im Jahr 2001 gab es eine durchschnittliche Wertsteigerung von 27,2 %, demgegenüber hatte der IBOVESPA ein Wachstum von 22,8% in dem gleichen Zeitraum.[20]

Ein weiterer wichtiger Index, besonderes für Minderheitsaktionäre, ist der ITAG (Index der differenzierten Tag-along-Rights Aktien). Dieser misst die Leistung der AGs, die Tag-along-Rights anwenden. Nach seiner Gründung im Jahr 2002 hat der ITAG eine durchschnittliche Wertsteigerung von 54,3% pro Jahr gehabt. Im Gegensatz dazu hatte der IBOVESPA eine durchschnittliche Erhöhung von 35,5% pro Jahr.

Trotzdem ist laut der BOVESPA

“der IBOVESPA der wichtigste Index der durchschnittlichen Wertsteigerung des Kurses der brasilianischen Börse. Seine Bedeutung ergibt sich aus der Tatsache, dass der IBOVESPA das Verhalten der wichtigsten Geschäftspapiere der BOVESPA widerspiegelt und aufgrund seiner Tradition, da der Index seine Integrität im Laufe der Zeit behalten hat und keine methodischen Veränderungen seit seiner Einführung im Jahr 1968 erlebt hat.”[21]

Mit dem Interesse die brasilianische Gesellschaft und die Unternehmen noch stärker in die Corporate Governance einzuführen, veranstaltet der IBGC regelmäßige Publikationswettbewerbe und kostenlose Veröffentlichungen journalistischer Texte um die Diskussion über Corporate Governance zu fördern.



[1] Die Börse von São Paulo, BOVESPA, ist die internationale Referenz Brasiliens auf dem Wertpapiermarkt.

[2] Autor unbekannt. Jornal Diário do Nordeste. (http://www.diariodonordeste.com.br). Zugriff am: 04.01.09.

[3] AktG Nr. 10.303/01

[4] AktG Nr. 10.303/01

[5] Art. 118, §§ 6- 11 des AktG Nr. 10.303/01

[6] Art. 141, §§ 4- 8 und Art. 161, §4 des AktG Nr. 10.303/01

[7]Der Aktionär darf seine Anteile bei Vorlage eines Kaufangebots zu den geltenden Konditionen mitverkaufen.” KELLER und KLÖTZLE (2004, S. 186)

[8] AktG Nr. 6.404/76

[9] Art. 4, §§ 4 und 5 und Art. 4-A des AktG Nr. 10.303/01

[10] Art. 264 des AktG Nr.10.303/01

[11] Definition von Corporate Governance im Gründungstext der IBGC 1995, die 2008 geändert wurde. (http://www.ibgc.org.br). Zugriff am 14.11.2008.

[12] Autor unbekannt. Börse von São Paulo. (http://www.bovespa.com.br/). Zugriff am: 14.12.2008.

[13] Regulamento sobre o Novo Mercado. (2008, S. 6)

[14] Laut Abschnitte 7.3 und 8.5 des Regulamento sobre o Novo Mercado (2008, S. 17)

[15] Abschnitt III. Genehmigung für den Handel auf dem Neuen Markt. Abschnitt 3.1, (vi). Regulamento sobre o Novo Mercado (2008, S. 8)

[16] Diese werden zu den Informações Trimestrais (ITRs) addiert – diese Dokumente werden von den Unternehmen der CVM und BOVESPA geschickt, die sie später für die Öffentlichkeit freigibt.

[17] The International Financial Reporting Standards (IFRS) und The United States Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) sind internationale Rechnungslegungsstandards, eine Zusammenstellung der internationalen Bilanzverkündung, die von dem IASB (International Accounting Standards Board) veröffentlicht und überprüft wird.

[18] GAMEZ. (http://www.ibgc.org.br.). Zugriff am: 18.01.2009

[19] Der Index von BOVESPA

[20] GAMEZ. (http://www.ibgc.org.br.). Zugriff am: 18.01.2009.

[21] Börse von São Paulo. (http://www.bovespa.com.br). Zugriff am: 19.01.2009

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