Montag, 15. Juni 2009

2. Die Geschichte und juristische Entwicklung der brasilianischen Aktiengesellschaft


Die Geschichte der Aktiengesellschaften in Brasilien beginnt voraussichtlich im siebzehnten Jahrhundert, aufgrund der bestehenden Wirtschaftspolitik während der merkantilistischen Ära.[1] Die Regierung Portugals nutzte ihre Monopolstellung in der brasilianischen Kolonie aus und benutzte die ˝Allgemeine Handelsgesellschaft Brasiliens ˝ und die ˝Allgemeine Handelsgesellschaft von Pernambuco und Paraiba˝ als privilegierte Unternehmen, um im Handel zu vermitteln. Dieses Vorgehen Portugals entspricht dem anderer Kolonialstaaten zu dieser Zeit, die ebenfalls internationale Unternehmen[2] mit privatem und öffentlichem Kapital gründeten, die als wichtigste Aufgabe die "Kolonialisierung der Neuen Welt"[3] hatten und eine politische, soziale und wirtschaftliche Dezentralisierung der staatlichen Funktionen aufwiesen.[4] Dies wurde als eine wichtige Weiterentwicklung des Konzepts der Handels-gesellschaft zu dieser Zeit gesehen.

Der damalige König von Portugal D. João VI. gründete Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die ˝Bank von Brasilien˝ (Banco do Brasil) in Form einer Gesellschaft mit zwei Anteilen. Der König hatte mehr als 50% der Macht über die Gesellschaft (dies garantierte ihm, und damit dem Staat, die vollständige Kontrolle über die Entscheidungen der Bank). Der kleinere Anteil war privater Herkunft. Sie wurde trotzdem als eine gemeinschaftliche Zentralbank bezeichnet.[5] Mit der Rückkehr des Königs nach Portugal ging die erste ˝Bank von Brasilien˝ in Konkurs.

Im Jahre 1851 wurde wieder eine neue Institution mit dem Namen ˝Bank von Brasilien˝ gegründet, jedoch ohne die direkte Intervention und Beteiligung des brasilianischen Monarchen - zu dieser Zeit war Brasilien bereits unabhängig. Damit begann das System der Konzessionen und Genehmigungen durch den Staat.[6] 1853 fusionierte die Bank von Brasilien mit der privaten Bank "Comercial von Rio de Janeiro." Dieser Zusammenschluss erhöhte das Kapital der beiden Banken um erhebliche Summen, da 53% der Aktien an die Aktionäre der Banken und die anderen 47% der angebotenen Aktien an die Öffentlichkeit verteilt wurden.[7]

1882 nimmt Brasilien das System der vollständigen wirtschaftlichen Freiheit[8] für Unternehmen an.[9] Bereits in dem ersten brasilianischen Handelsgesetzbuch (HGB) von 1850, in Art. 295, war dieses System der wirtschaftlichen Freiheit mit Vorbehalten festgehalten worden.[10]

Eine der Neuheiten des brasilianischen HGB war der Art. 298, der die Haftung des Aktionärs oder Unternehmers auf die Anzahl seiner Aktien oder Verantwortlichkeiten innerhalb der Gesellschaft beschränkte. So wurde eine erste Rechtssicherheit für Investoren geschaffen.


2.1 Das republikanische Brasilien und die Gesetzesverordnung 2627/40

Das Dekret-Gesetz aus dem Jahre 1940, das sich mit der Aktiengesellschaft (AG) befasst, nahm einige Punkte, die als unklar oder als nicht den aktuellen Standards der Verwaltung entsprechend galten, auf. Das alte Gesetz gehörte noch in die Zeit der Monarchie und musste somit überarbeitet werden.

Es modifizierte und verbesserte die Dispositive, die noch durch Art. 300 des Gesetzes Nr. 556/1850 (Brasilianisches HGB) in Kraft waren. Das neue Gesetz gab der Regierung die Prärogative der Entscheidung über eine Genehmigung für neue Unternehmen. Ebenso hatte sie das Recht Änderungen oder Zusätze in der Satzung der Gesellschaftsordnung zu bestimmen und konnte weiterhin auch die Teilnahme der Wertpapiere der Gesellschaft an der Börse der Hauptstadt der Republik anordnen.[11] Diese war verpflichtend für alle Unternehmen, die irgendeine Bonifikation des Staates bekommen hatten.

Zum besseren Verständnis dieser "Kontrolle" des Staates bei der Bildung der Gesellschaft, muss man die Zeit, in der sie entstand genau analysieren. In den frühen 40er Jahren war Brasilien im Prozess der Industrialisierung. Dieser Prozess war so wichtig für die brasilianische Wirtschaft wie es die englische wirtschaftliche Revolution für die ganze Welt gewesen war. Zu diesem Zeitpunkt hatte die brasilianische Industrie ein neues Modell der wirtschaftlichen Entwicklung definiert, das den Ersatz des älteren Modells der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen durch das neue Industrie-Stadt-Modell vorsah.

Die Rezession der globalen Wirtschaft während des Zweiten Weltkrieges war für Brasilien, im Gegenzug, eine große Gelegenheit für die Entwicklung seiner Industrie. Viele Importprodukte wurden durch das Schaffen eigener industrieller Zweige ersetzt und somit nahmen auch die Exporte stark zu.[12] Viele europäische Länder, die durch den Krieg stark zerstört waren, mussten halbindustrialisierte und industrialisierte Produkte aus anderen Ländern einführen, darunter auch aus Brasilien.

Die nationalistische Regierung von Getúlio Vargas wurde von der Regierung der USA unter Druck gesetz, eine deutliche Position im Krieg zu beziehen. Brasilien musste so ein System finden, in dem es die Nachfrage des internationalen wirtschaftlichen Marktes und des internationalen Krieges bedienen und gleichzeitig die innere populistische Politik für das brasilianische Volk aufrechterhalten konnte.


2.1.1 Die Regulierung der gemischten und ausländischen Gesellschaften in der Zeit von Getúlio Vargas

Die funktionalen Bestimmungen für "ausländische Unternehmen" wurden durch die Gesetzesverordnung 2627/40 eingeführt, d.h. erst 90 Jahre nach der Einführung des brasilianischen HGBs von 1850. Diese Bestimmungen erlaubten die ausländische Beteiligung am brasilianischen Wirtschaftsmarkt, gemäß den Art. 60, 64 und 72. Die Unternehmen konnten jedoch nur in Übereinstimmung mit den nationalen Gesetzen existieren, sie mussten ihren Sitz in Brasilien haben und eine ausländische Beteiligung war zwar möglich, aber mit klaren Handlungsbegrenzungen.[13]

Für die Aktiengesellschaften oder ausländischen Unternehmen war die Bewilligung der Regierung für das Handeln auf dem nationalen Markt obligatorisch, mit Ausnahme von den Fällen, die nach Art. 60 reguliert wurden.

Eine Änderung der Nationalität der Gesellschaft zu schaffen war nur mit der einstimmigen Zustimmung aller Aktionäre möglich. Die Regierung hatte die deutliche Absicht, die nationalen Gesellschaften zu erhalten. Dies ist ein Beispiel der Schranken bzw. protektionistischen Regeln des Staates.
So entstand die Gesetzesverordnung in perfekter Harmonie mit den Interessen der Zeit des populistischen Brasiliens. Sie markierte die Ankunft großer Investoren und Unternehmen auf diesem "neuen Markt", der bisher eher eine Geschichte der Monokultur hatte und international unbekannt war. Auf der einen Seite wurde Brasilien also, aufgrund der Nachfragen des Krieges und einer neuen juristischen Sicherheit, attraktiver für ausländische Investoren. Auf der anderen Seite beherrschte der Staat die Mehrheit der Unternehmen und erhöhte dadurch die populistische Propaganda um seine Politik zu stabilisieren.

Trotz dieses nationalistischen Vorgehens und des protektionistischen Jargons "Das Öl gehört uns"[14], hatten die AGs kaum Probleme auf nationalem Boden.


2.2 Das Gesetz Nr. 4595 – 31.12.64 und das Gesetz Nr. 4728 vom 14.04.65, die ersten Gesetze für den Kapitalmarkt

Nach 25 Jahren und einigen Veränderungen in der internationalen Arena wurde es für Brasilien notwendig, neue bzw. spezifischere Gesetze zu implementieren und spezifische wirtschaftliche Organe zur Überwachung der weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung zu gründen.

Das Gesetz Nr. 4595/64 wurde auch das Banken-Reform-Gesetz genannt. Es brachte Veränderungen und Verbesserungen im nationalen System der finanziellen Vermittlung und definierte die Eigenschaften und Aufgaben in bestimmten Bereichen der Institutionen. Eine weitere wichtige Neuerung dieses Gesetzes war die Gründung des Nationalen Währungsrates (Conselho Monetário Nacional - CMN) und der Zentralbank.

Im Anschluss gab es das Gesetz Nr. 4728/65. Es war das erste Gesetz der Kapitalmärkte, es regelte die wirtschaftlichen Maßnahmen für die Entwicklung dieses Marktes und es gab den zuständigen Aufsichtsbehörden mehr Befugnisse, z.B. eine stärkere Kontrolle der gehandelten Aktien, Schutz der Investoren vor illegaler Aktienausgabe, Erleichterung des Zugangs zu Informationen über die Aktienwerte, etc.

Der brasilianische Wertpapiermarkt erfuhr einige Veränderungen, z.B. die Erneuerung der Gesetzgebung für die brasilianische Börse und die Gründung der Brokerunternehmen und Investment-Banken mit dem Ziel der Entwicklung und Förderung von Investmentfonds.


2.3 Der „Boom von 1971“ und sein Einfluss auf die Gründung des brasilianischen Aktiengesetzes von 1976

In den frühen der 70er Jahren gab es den “ Bankrott" der brasilianischen Börsen. Damals gab es, aufgrund der Steuerbegünstigung, ein Ungleichgewicht zwischen dem Angebot und der Nachfrage von Aktien. Dies führte zu einer unkontrollierten Erhöhung der Preise der Aktien und zu unkontrollierten spekulativen Handlungen. Dies wurde als „Boom von 71“ bezeichnet.

Die Ursachen des anschließenden Bankrotts waren mehrere. Es gab keine spezifischen Gesetze und viele unqualifizierte Unternehmen waren am Handel beteiligt, die die Interessen der Aktionäre nicht berücksichtigten oder nicht den geringsten Kompromiss mit den Investoren bzw. Aktionären hatten. Das war sehr negativ für den brasilianischen Aktienmarkt. Das Land brauchte damals mehr als 15 Jahre für einen erneuten Wirtschaftsaufschwung.

Nach diesen Ereignissen, die hohe Verluste für die brasilianische Mittelschicht und für nationale und internationale Investoren zur Folge hatten, waren Verbesserungen in allen Bereichen, die im Zusammenhang mit Investitionen in Brasilien standen, notwendig. Es mussten neue Mittel angewandt werden um den Markt zu stabilisieren und die Rückkehr der Investoren zu sichern. Es wurden Mittel aus den Pensionsfonds PIS/PASEP genommen, durch die Gesetzesverordnung Nr. 1401 wurden Investitionsgesellschaften geschaffen, um externe Mittel zu gewinnen und auf dem Aktienmarkt anzulegen und die Investitionen in Pensionsfonds wurden aufgewertet. Die regulatorischen Verbesserungen „wurden geschaffen, um der Bevölkerung mehr Vertrauen zu geben und gegen diesen ungünstigen Zustand des Kapitalmarktes anzukämpfen“ .[15]

Das war das Szenario, in dem zwei wichtige Gesetze geschaffen wurden. Ihre Aufgaben waren vor allem die Stabilisierung und die effektive Standardisierung der anfälligen brasilianischen Wertpapiermärkte. Diese Gesetze wurden das „Brasilianische Aktiengesetz“ bzw. Gesetz Nr. 6404/76 und Kapitalmarktgesetz bzw. Gesetz Nr. 6385/76 genannt.

[1] Diese wirtschaftliche Lehre charakterisiert den Zeitpunkt der kommerziellen Revolution (XVI-XVIII Jhd.). Sie war gekennzeichnet durch den Zerfall des Feudalismus und der Bildung von Nationalstaaten. Sie verteidigt die Anhäufung von Währungsreserven in Edelmetall durch den Staat durch eine Politik protektionistischen Charakters.
[2] Wie zum Beispiel die britische East India Company, gegründet 1600
[3] TOMAZETTE (2008, S.379)
[4] REQUIÃO (1998, S. 3-4)
[5] PONTUAL, Helena Daltro. (http://www.senado.gov.br). Zugriff am: 28.10.2008
[6] CORRÊA-LIMA. (1999, S. 234)
[7] Unbekannt. Banco do Brasil. (http://www.bb.com.br). Zugriff am: 28.10.2008.
[8] Die vollständige wirtschaftliche Freiheit für Unternehmen wurde von Frankreich initiiert, nachdem das alte System gescheitert war, weil es zu bürokratisch war und die Gründung einer Gesellschaft von der Genehmigung des Staates abhängig machte. In dem neuen System gab es keine Verpflichtung zu einer Genehmigung des Staates mehr, jedoch blieben die Gesellschaften trotzdem abhängig von spezifischen Gesetzen. Dieses System war verantwortlich für das Wachstum der Unternehmen aufgrund der Erhöhung des investierten Kapitals.
[9] TOMAZETTE (2008, S. 379).
[10] CORRÊA-LIMA (1999, S. 234)
[11] Art. 61 …
§ 2º - Die Regierung kann dem Unternehmen, nach Erfüllung seiner vollständigen rechtlichen Formalitäten für seine Funktionsweise, anordnen, dass es den Preis für seine Wertpapiere an der Börse der Hauptstadt der Republik beantragt. Diese Bestimmung ist verpflichtend für die Unternehmen, die Gefälligkeiten der Regierung genießen bzw. genießen werden.
[12] COELHO (1996, S. 162).
[13] AMBERGER. (1956, S.17)
[14] In Hinblick auf das damals staatliche Mineralölunternehmen PETROBRÁS, heute halbstaatliches Unternehmen.
[15] COELHO. (2008, S. 233)

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